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17. September 1976
In der folgenden Woche hielt Hermione ihr Wort – die Operation Severus Nachstellen war in vollem Gange. Hermione hatte sich angewöhnt, den Unsichtbarkeitsumhang immer bei sich zu tragen. Sie hatte ihn in ihre Perlenhandtasche gestopft, die sie täglich in der Tasche ihres Umhangs trug. Nach dem Unterricht entschuldigte sie sich, indem sie sagte, sie müsse auf die Toilette oder erfand irgendeine andere Ausrede, z. B. dass sie mit einer Professorin sprechen müsse oder dass sie etwas im Schlafsaal vergessen hatte. Sobald sie sich von ihren FreundInnen getrennt hatte, benutzte sie den Umhang, um Severus zu folgen. Sie versuchte, seinen Stundenplan herauszufinden, welche Wege er zu seinen Klassen nahm und wohin er in seiner Freizeit ging.
Eine Sache, die ihr aufgefallen war, war, dass Severus nicht so sehr ein Einzelgänger war, wie er ursprünglich schien. Es schien, als hätte er mindestens zwei Bekannte, mit denen er sich einigermaßen freundschaftlich unterhielt. Es machte sie ein wenig krank, als sie erkannte, dass die beiden jungen Männer zukünftige Todesser waren – Avery und Macnair. Doch der leichte Anflug von Abscheu in Severus' Augen, wenn er in ihrer Nähe war, stellte Hermione zufrieden. Es hatte den Anschein, dass er sich nicht wirklich für sie interessierte, und sie nahm an, dass ihre Freundschaft, wenn man sie denn so nennen konnte, mehr aus Bequemlichkeit entstand als aus irgendetwas anderem.
Nach ein paar Tagen lernte sie, dass Severus Snape ein Gewohnheitstier war. Sein Zeitplan änderte sich kaum von einem Tag auf den anderen, was ihr das Leben sehr erleichterte. Er frühstückte in der Großen Halle, ging in den Unterricht und verbrachte die freien Stunden in der Bibliothek. Nach dem Mittagessen kehrte er in den Unterricht zurück und verschwand dann in den Slytherin-Kerkern. Später tauchte er zum Abendessen wieder auf und beendete seine Abende wieder in der Bibliothek.
Hermione hatte die ganze Woche über nicht versucht, mit ihm zu sprechen. Diese Entscheidung hatte sie aus zwei Gründen getroffen. Erstens hielt sie es für besser, ihn vorher ein wenig zu studieren, herauszufinden, was er tagsüber tat und welche Interessen er möglicherweise hatte, damit ihr etwas Substanzielles einfiel, worüber sie mit ihm sprechen konnte. Zweitens befürchtete sie, dass sie, wenn sie weiterhin versuchte, ihn zu einer Freundschaft zu zwingen, was er anscheinend nicht wollte, riskieren würde, ihn endgültig zu vergraulen. Sie hatte Zeit, im wahrsten Sinne des Wortes, und dachte, sie sollte sie weise nutzen.
Während des Unterrichts in Zaubertränke kam Hermione herein, nickte ihm zur Begrüßung kurz zu, was er später die Woche erstaunlicherweise erwiderte und verbrachte die restliche Zeit damit, in Ruhe an ihren Aufgaben zu arbeiten. Mehrmals glaubte sie, ihn dabei erwischt zu haben, wie er sie oder das, was sie tat, ansah, aber sie hatte es nicht anerkannt.
Nur einmal sprach er mit ihr. Hermione hatte nicht so gut aufgepasst, wie sie es normalerweise in ihrer eigenen Zeit getan hätte, da sie zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt war, und hätte bei der Arbeit an ihrem Trank fast einen Schritt vergessen. Beinahe hätte sie die Gürteltiergalle vor dem Skarabäuskäfer in ihren Gripsschärfungstrank gegeben, bevor Severus sie aufhielt.
„Skarabäuskäfer", zischte er, als ihre Hand die Phiole fast in den Kessel kippte. Sie zuckte zusammen und stieß ein leises Quietschen aus, bevor sie sich bei ihm bedankte und mit ihrer Schularbeit fortfuhr. Danach tat Severus weiter so, als hätte Hermione nicht existiert.
Je mehr sie ihn beobachtete, desto mehr fielen ihr kleine Dinge auf, die sie verwirrten und in einen Konflikt stürzten. Zum einen bewunderte sie die Art und Weise, mit der er sich so sehr seinen Schularbeiten widmete. Sie begann zu erkennen, dass er ein ziemlich brillanter junger Mann war, und ehrlich gesagt, eine Person, mit der sie sich hätte anfreunden können. Sie stellte sich vor, dass sie mit ihm sinnvolle und intensive Diskussionen und Debatten hätte führen können. Er war jemand, der sie intellektuell anregen könnte.
Er war auch irgendwie lustig. Auf eine trockene, sarkastische Art und Weise. Ein paar Mal hörte sie ihn etwas über einen ihrer KlassenkameradInnen murmeln, und es fiel ihr schwer, sich ein Kichern über seine Bemerkungen zu verkneifen. Ein paar Mal sagte er Dinge, die sie vielleicht gedacht, aber nie laut ausgesprochen hätte. Wenn man etwas fortgeschrittener war als einige seiner MitschülerInnen, war man natürlich gezwungen, sich über sie zu ärgern. Severus schien einfach nicht so fähig zu sein, seine Meinung für sich zu behalten, wie Hermione es gewesen war.
Eines Tages, in Antiken Runen, kam ihr ein Gedanke, der sie völlig aus der Bahn warf. Sie fand ihn tatsächlich ein wenig attraktiv. Nicht, dass sie sich zu ihm per se hingezogen fühlte, aber sie konnte nicht sagen, dass er hässlich war. Seine dunklen Augen und der dunkle Haarschopf, der im Kontrast zu seiner blassen Haut stand, hatten etwas an sich, das sie irgendwie schön fand. Selbst seine Nase wirkte eher vornehm als aufdringlich. Und bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie sie tatsächlich sah, wirkten seine Zähne ein ganzes Stück gerader und weißer, als sie es in seinen Erwachsenenjahren waren.
Nach diesem Tag hat sie sich sehr bemüht, diese Gedanken zu verdrängen. Sie hatte einen… Freund? Eigentlich war sie sich nicht ganz sicher, was sie und Ron waren, aber sie fühlte sich nicht wohl dabei, einen anderen Jungen so genau anzuschauen. Vor allem, wenn man bedenkt, wer dieser Junge war.
8. Oktober 1976
In den nächsten Wochen ging es relativ gleich weiter. Sie besuchte ihre Kurse, verbrachte ihre Freizeit damit, entweder Severus zu folgen oder Amelia und Remus viel näher zu kommen, als ihr lieb war. Sie machte sich immer mehr Sorgen, dass man sie in Zukunft erkennen würde. Dann, zu ihrem großen Entsetzen, befürchtete sie nach einem Gespräch in der Bibliothek am Freitagabend, dass Remus sich an sie erinnert haben könnte. Die Art und Weise, wie das Gespräch endete, erinnerte sie auf unheimliche Weise an ein ähnliches Gespräch, das sie mit Remus und Sirius während ihres Sommers im Grimmauldplatz vor ihrem fünften Jahr geführt hatte.
Irgendwie waren Hermione, Amelia und Remus auf das Thema Hauselfen gekommen, und Hermione, die sich nicht zurückhalten konnte, schimpfte eine lange Tirade darüber, dass sie es verdient hätten, besser behandelt zu werden. Dass sie Lohn, Krankheitstage und Urlaub erhalten sollten, wie jeder andere auch. Amelia stimmte ihr in gewisser Weise zu, doch Hermione vermutete aus ihrem Tonfall, dass sie sie nur beschwichtigen wollte, aber das störte Hermione nicht. Die gleiche Antwort erhielt sie von Harry. Sie hatte immer gewusst, dass Harry sie nicht ernst genommen hatte, aber sie schätzte die Tatsache, dass er sich nicht geradewegs über sie lustig machte, wie Ron es tat. Amelia, so schien es, war genauso höflich.
Remus jedoch konnte sein Lachen nicht zurückhalten. Nicht nur das, sondern was er zu ihr sagte, ließ sie fast von ihrem Sitz fallen, denn es war genau die gleiche Antwort, die er ihr in der Zukunft gegeben hatte.
„Hermione", gluckste Remus. „Ich stimme zu, dass Hauselfen schlecht behandelt werden, aber bist du schon einmal einem begegnet?"
„Natürlich, Remus!" Sie antwortete entrüstet. „Sie -"
Remus unterbrach sie. „Dann wüsstest du, dass sie vollkommen zufrieden damit sind, die Familien, denen sie dienen, glücklich zu machen. Dazu wurden sie geboren, Hermione. Das ist es, was ihnen einen Sinn gibt."
„Ja, aber…"
Er hob seine Hand. „Ich sehe schon, dass wir in dieser Frage nicht einer Meinung sind", lächelte er. „Ich denke, es wäre das Beste, wenn wir das Thema sein lassen?"
Hermione blieb für einen Moment das Herz stehen.
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Hermione konnte nicht schlafen und fand sich in der Kellerküche im Grimmauldplatz mit Remus und Sirius wieder, die alle Tee tranken. Obwohl, dem Geruch nach zu urteilen, vermutete Hermione, dass Sirius' Becher ein viel stärkeres Getränk enthielt.
Kreacher hatte die Küche betreten und dabei verletzende Worte über sie gemurmelt, woraufhin Sirius eine Suppenkelle nach dem alten Elf warf und ihn aus der Küche verwies. Natürlich entsetzte sein Verhalten Hermione, der es offensichtlich schwer fiel, ihren wütenden Gesichtsausdruck zu verbergen.
„Was?" Sirius schnauzte sie an, nachdem er sie angeschaut hatte.
Hermione erschrak ein wenig in ihrem Sitz, es war das erste Mal, dass Sirius ihr gegenüber diesen Tonfall anschlug, und er traf sie unvorbereitet. Trotzdem hatte sie sich nicht wohl dabei gefühlt, wie eine Elfe vor ihren Augen misshandelt wurde. Kreacher hatte es nicht besser gewusst, das war ihr klar, und deshalb nahm sie sich seine Worte und Taten nicht zu Herzen.
„Das war ziemlich harsch, Sirius", schimpfte sie.
Sirius schnaubte laut. „Harsch? Du machst dich über mich lustig, stimmt's?"
Daraufhin entbrannte ein Streit zwischen den beiden, der sich zu einem heftigen Wortgefecht entwickelte. Hermione schimpfte, dass sie Freiheit oder Lohn oder generell mehr Rechte haben sollten. Dann mischte sich Remus ein.
„Sie sind vollkommen zufrieden damit, die Familien, denen sie dienen, glücklich zu machen. Dazu wurden sie geboren, Hermione. Das ist es, was ihnen einen Sinn gibt", sagte er mit müder Stimme.
Hermione sah beleidigt aus. „Aber gerade du könntest doch sicher meine Beweggründe erkennen..."
Remus hob seine Hand, um sie aufzuhalten. „Ich sehe schon, dass wir uns in dieser Frage nicht einer Meinung sind. Ich denke, es wäre das Beste, wenn wir das Thema sein lassen."
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Zu diesem Zeitpunkt hatte Hermione das Grinsen auf Remus' Gesicht nicht verstanden. Auch der wissende Blick, den er Sirius unmittelbar danach zuwarf, verwirrte sie damals. Aber dann hatte sie sich gewundert. Hatte er sich an sie erinnert?
Dann ergaben plötzlich immer mehr Dinge einen Sinn für sie. Zum Beispiel ein kurzes Gespräch, das sie einmal mit Sirius in den Weihnachtsferien ihres fünften Jahres geführt hatte.
ooo
Hermione ging am Salon vorbei und bemerkte Sirius, der allein auf einem Stuhl saß und sich an einer Flasche festhielt, als wäre es seine lang verlorene Geliebte.
Sie fand es schrecklich, dass er die Feiertage allein an einem Ort verbrachte, der ihm so viele Schmerzen bereitete. Anstatt einfach vorbeizugehen, beschloss sie, den Raum zu betreten und setzte sich still auf einen Stuhl ihm gegenüber.
„Frohe Weihnachten, Sirius", sagte sie leise.
Sirius hob ruckartig den Kopf, seine blutunterlaufenen Augen waren groß und voller Überraschung. Nachdem er so aussah, als würde er versuchen, sich auf die Person zu konzentrieren, die gerade zu ihm gesprochen hatte, breitete sich langsam ein Lächeln auf seinen Lippen aus, das jedoch nicht seine traurigen Augen erreichte.
„Dir auch, Hermione", antwortete er und hob seine Flasche im gespielten Prost, bevor er einen tiefen Schluck der bernsteinfarbenen Flüssigkeit nahm.
Hermione lächelte traurig, als er sich den Mund mit der Rückseite seines schmutzigen Ärmels abwischte.
„Kaum zu glauben, dass ihr dieselben drei dürren Bengel seid, die ich vor fast zwei Jahren kennen gelernt habe", scherzte er. „Habt ihr schon irgendwelche Herzen gebrochen?"
Hermione hat nie verstanden, warum manche Erwachsene Teenagern so etwas fragten. Als ob das Einzige, was in ihrem Heranwachsen wichtig war, war, ob sie ausgingen oder nicht.
Sie lachte laut auf.
„Wohl kaum."
Sirius schüttelte den Kopf.
„Mach dir keine Sorgen, Hermione. Das wirst du noch früh genug, glaub mir. Ich bin sicher, es wird ein Typ kommen, der dich fast täglich belästigt. Aber sei nicht zu hart zu ihm."
Seine Augen begannen sich langsam zu schließen. Hermione war zunehmend verwirrt, aber sie schob es einfach darauf, dass Sirius betrunken war.
„Es ist nicht so, dass er eine Ahnung hätte, wer du bist. Wenn er es wüsste, hätte er nicht...", brach er ab, bevor er ohnmächtig wurde.
ooo
Hermione ging früh ins Bett, nachdem ihr klar geworden war, dass sie vielleicht doch nicht so unauffällig geblieben war, wie sie gehofft hatte. Sie behauptete, sie habe Magenschmerzen, was genau genommen keine Lüge war. Die ganze Tortur verursachte ihr ein außerordentlich mulmiges Gefühl.
9. Oktober 1976
Am Abend von Hermiones letztem Nachsitzen betrat sie das Zaubertränkeklassenzimmer, bereit für einen weiteren unangenehmen Abend, an dem Slughorn über sie und Severus schwärmte, während sie weiter putzten und nicht miteinander sprachen, sondern nur mit ihrem Professor.
Von Severus hatte sie nichts erwartet, und deshalb war es ein absoluter Schock, als er nicht aus dem Raum gestürmt war, nachdem Slughorn sie entlassen hatte, wie er es nach jedem ihrer vorherigen Nachsitzen getan hatte.
Beide wünschten ihrem Professor eine gute Nacht und wandten sich zum Verlassen des Raumes. Sie ging ein paar Schritte hinter ihm, als er plötzlich stehen blieb.
„Kann ich dich einen Moment sprechen?", fragte er sie, während er ihr den Rücken immer noch zuwandte.
Hermiones Herz raste und aus irgendeinem Grund fühlte sich ihr Magen an, als wäre er mit flatternden Schmetterlingen gefüllt.
„Natürlich!" antwortete sie etwas zu eifrig.
Severus drehte sich langsam um, nahm aber keinen Blickkontakt mit ihr auf. Er blickte auf den Boden und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Mir ist in Zaubertränke aufgefallen, dass du nicht so dumm zu sein scheinst wie der Rest unserer MitschülerInnen."
Hermione nahm an, dass das ein Kompliment sein sollte. Unwillkürlich zog sich ihr Mundwinkel ein wenig nach oben.
„Äh ... danke?"
Hermione blickte nach unten und bemerkte, dass er an seinem Ärmel zupfte. Er war nervös, stellte sie fest. Sie fragte sich, warum.
„Es gibt jedoch noch einige Bereiche, in denen du dich verbessern könntest", fuhr er herablassend fort.
Sie wich zurück. Es war fast so, als wäre sie wieder seine Schülerin und hörte ihm zu, wie er sie und ihre harte Arbeit klein redete.
Ihre Augen verengten sich und sie stemmte die Hände in die Hüften. Severus schien das nicht zu bemerken.
„Zaubertränke erfordern Instinkt und Fantasie. Man muss sich nicht immer so sehr auf das verlassen, was uns in den Lehrbüchern gezeigt wird."
Warum hatte er ihr das gesagt? Er schien ihr nicht die Art von Person zu sein, die ihren MitschülerInnen Ratschläge geben würde. Trotzdem sagte sie nichts. Sie wartete ab, ob er fortfahren würde.
Severus griff nach oben und rieb sich den Nacken. Er hatte sie immer noch nicht direkt angeschaut.
„Wenn – wenn ähm ..." Er hielt inne und schüttelte den Kopf.
Worauf wollte er mit all dem hinaus? Sie wunderte sich.
„Wenn was, Severus?" fragte sie.
Sie bemerkte, dass er wieder leicht zusammenzuckte, als sie seinen Namen sagte, und wieder einmal fragte sie sich, was das zu bedeuten hatte.
Schließlich blickte er auf und sah ihr in die Augen. Sie sah, wie sein Adamsapfel hüpfte, als würde er nervös schlucken.
„Ich – ich könnte dir helfen, wenn du willst", bot er leise an und richtete seinen Blick wieder auf den Boden.
Hermione bemerkte einen Hauch von Rot auf seinen blassen Wangen. Sie musste fast lachen. All die Intrigen und Heimlichkeiten, die sie geschmiedet hatte, hatten keine Rolle gespielt. Es hätte sie nicht überraschen dürfen, dass der Weg, damit er sie beachtete oder vielleicht sogar respektierte, darin bestand, dass sie im Unterricht gut war. Aber nicht nur das, sondern es muss ihr auch geholfen haben, dass sie sich nicht mehr so oft gemeldet und auch nicht mehr jede Frage im Unterricht beantwortet hatte. Sie war entschlossen, während ihrer Zeit hier nicht als Alleswisserin aufzutreten, weil sie glaubte, dass es ihr helfen würde, sich besser unter die anderen zu mischen.
Er muss ihr Schweigen als den Beginn einer Ablehnung aufgefasst haben.
„Ich biete es nur an, weil es eine Schande wäre, wenn jemand, der auch nur ein Minimum an Talent hat, es vergeuden würde. Nicht viele Leute wissen Zaubertränke zu schätzen", fügte er mit einem abfälligen Tonfall hinzu, den Hermione sehr gut kannte.
Sie verdrehte die Augen und war froh, dass er nicht hinsah, als sie es tat.
„Das würde mir gefallen", antwortete sie schließlich und glaubte, den Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen zu sehen.
Er nickte einmal und sah sie mit gerunzelter Stirn an.
„Genau. Triff mich mich morgen Abend in der Bibliothek. Um acht Uhr."
„Ich werde d- "
„Komm nicht zu spät", unterbrach er sie.
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich schnell um und rannte halb von ihr weg. Hermione schüttelte ungläubig den Kopf. Severus war wirklich eine andere Art von Mensch.
„...dort sein", beendete Hermione, als sie ihn gehen sah.
Es fiel ihr schwer, auf dem ganzen Weg zum Ravenclaw-Turm ein Lächeln zu verbergen, das sie wohl immer noch trug, als sie den Gemeinschaftsraum betrat.
„Für jemanden, der gerade nachsitzen musste, siehst du aber sehr fröhlich aus", sagte Amelia mit einem misstrauischen Schimmer in den Augen.
Hermione zuckte mit den Schultern. „Es war das letzte Mal", antwortete sie, als ob damit alles erklärt wäre.
Um jedes weitere Gespräch zu vermeiden, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Schlafsaal und sagte schnell gute Nacht.
„Wo wollen Sie denn hin, Miss Devereux?" verlangte Amelia und blickte über das Buch, in dem sie las. „Wenn du glaubst, dass ich dir die Ausrede 'Es war das letzte Mal' abnehme, irrst du dich gewaltig."
Hermione streckte Amelia die Zunge heraus und ging dann weiter zur Treppe. Amelia folgte ihr schnell.
„Wirklich, Amelia, es ist nichts. Ich bin nur froh, dass ich es hinter mir habe", versuchte sie sie zu überzeugen.
Als sie die Treppe etwas schneller hinauflief, als sie begonnen hatte, joggte Amelia, um mit ihr Schritt zu halten.
„Du lügst eindeutig, Hermione. Ich habe dich noch nicht so lächeln sehen, seit du hier angekommen bist. Was ist denn jetzt los?" fragte sie leicht keuchend.
Hermione schüttelte den Kopf, als ihr ein Schnauben entwich. Als sie den leeren Schlafsaal betraten, ließ Amelia nicht locker.
Ehrlich gesagt wusste Hermione nicht einmal, wo sie anfangen sollte. Warum lächelte sie wie ein Idiot? Warum war sie nervös und gleichzeitig aufgeregt wegen der Aussicht, den Abend mit Severus zu verbringen? Lag es einfach daran, dass sie ihrem Ziel in der Vergangenheit endlich ein Stück näher gekommen war? Oder war es etwas anderes?
Sie setzte sich auf ihr Bett und zog die Beine unter sich zusammen. Amelia beobachtete ihr Gesicht aufmerksam.
„Und?" Amelia versuchte es noch einmal.
Hermione holte tief Luft. „Severus hat mich gefragt, morgen Abend mit ihm zu lernen", gab sie leise zu. Langsam stieg ihr die Röte ins Gesicht, als sie sah, wie Amelias Mund aufklappte.
„Ich – äh – ich habe zugestimmt."
Amelias Gesichtsausdruck glich dem von jemandem, der gerade einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte. Sie sah verblüfft aus.
„Er – er hat dich um ein Date gefragt?" flüsterte Amelia.
Hermione schüttelte den Kopf. „Nein, es ist keine Verabredung oder so", stellte sie schnell klar. „Er hat nur erwähnt, dass ihm meine Arbeit im Zaubertränkeunterricht aufgefallen ist und er denkt, dass er mir helfen könnte, besser zu werden." Es fiel ihr schwer, am Ende des Satzes nicht verbittert zu klingen.
Hermione strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und wand sich unbehaglich unter Amelias erstaunter Miene. Für Hermione schien es, als hätte Amelia zum ersten Mal gehört, dass jemand eine andere Schülerin bat, mit ihm zu lernen, so schockiert sah sie aus.
Sie konnte die peinliche Stille nicht länger ertragen.
„Was?" schnauzte Hermione.
Amelia schien zu merken, dass sie sich unhöflich benahm. Sie schüttelte den Kopf, setzte sich aufrechter hin und zwang sich zu einem Lächeln.
„Nein, nichts!" sagte sie schnell. „Es ist nur – nur dass ...", sie biss sich auf die Lippe. „Ich habe ihn noch nie mit einem Mädchen gesehen. Na ja, außer mit Lily Evans."
Lily und Severus waren seit ihrer Kindheit befreundet, bis zum Ende ihres fünften Schuljahres. Harry hatte ihr und Ron das am Morgen nach der Großen Schlacht erzählt. Harry war nicht ins Detail gegangen, warum Severus und Lily nicht mehr miteinander sprachen. Alles, was er ihnen sagte, war, dass Severus etwas getan hatte, was Lily ihm nicht verzeihen konnte. Hermione war außerordentlich neugierig, was das war, und fragte sich, ob Amelia wusste, was passiert war.
„Lily Evans und Severus sind Freunde?" fragte Hermione, als wäre sie unwissend.
„Waren Freunde", stellte Amelia klar. „Bis zum Ende des letzten Schuljahres. Gleich nachdem wir mit unseren ZAGs fertig waren."
Hermione brauchte ihre Neugier nicht zu verbergen.
„Was ist passiert?" fragte sie begierig und beugte sich vor.
Amelia rutschte an den Rand ihres Bettes und kreuzte die Beine unter sich.
„Ich war nicht dabei", begann sie. „Aber Alice war da. Sie hat uns danach erzählt, was geschehen ist. Eigentlich", schnaubte sie, „wusste die ganze Schule danach Bescheid."
Hermiones Herz klopfte wie wild. Was hatte Severus getan, das so schlimm war, dass die ganze Schule innerhalb weniger Minuten davon wusste?
„Offenbar saß Severus unter einem Baum in der Nähe des Großen Sees. Potter, Black, Remus und Pettigrew waren auch da draußen."
Hermione spürte, wie sich ihr Magen umdrehte. Sie hatte das Gefühl zu wissen, worauf diese Geschichte hinauslaufen würde.
Sie hörte entsetzt zu, als Amelia die Szene am See an jenem Sommernachmittag beschrieb.
Ihr wurde ganz schlecht, als sie hörte, was James und Sirius Severus angetan hatten, der ihnen nichts getan hatte. Es war für sie erstaunlich, wie ähnlich sich James und Harry sahen und wie unterschiedlich sie doch in ihrer Persönlichkeit waren. Wer wusste das schon? Vielleicht hatte sich James verändert. Nach dem, was Amelia ihr erzählte, schien er seit dem letzten Jahr schon ziemlich erwachsen geworden zu sein, aber trotzdem. Harry hatte noch nie jemanden verhext, nur weil ihm und Ron langweilig war. Ein solches Verhalten hätte sie eher von Draco Malfoy erwartet, niemals von Harry. Hatte Professor Snape etwa recht, als er Harry immer wieder sagte, James Potter sei arrogant und ein Mobber?
Das Mitleid, das sie für Severus empfand, verschwand jedoch in dem Moment, als Amelia ihr erzählte, wie er Lily im Eifer des Gefechts genannt hatte.
„Er hat sie eine was genannt?" Hermione schnaufte durch ihre Finger, die ihren Mund bedeckten. „Nein, das konnte er nicht", flüsterte sie, mehr zu sich selbst als zu Amelia.
Amelia nickte. „Das hat er", antwortete sie sachlich.
Hermione ließ den Kopf hängen. Wie konnte er nur so etwas tun? Lily war seine beste Freundin. Sie war ein Mädchen, das er mochte. Warum sollte er sie so nennen?
Ihr Herz brach für Lily, und Hermione versuchte sich vorzustellen, wie sie sich gefühlt hätte, wenn Ron oder Harry dieses Wort aus dem Mund gefallen wäre. Sie wäre am Boden zerstört gewesen. Untröstlich. Entsetzt. Wütend. Niedergeschlagen. Kein Wunder, dass Harry ihr und Ron nicht gesagt hatte, was das Ende ihrer Freundschaft verursacht hatte. Sie war angewidert von ihm und fragte sich, ob sie ihn am nächsten Abend wirklich sehen wollte. War er es wert? War es das wert, hier zu sein?
„Er wollte sich sofort danach entschuldigen, aber Lily wollte nichts davon wissen. Laut Mary hat er gedroht, vor dem Gryffindor-Gemeinschaftsraum zu schlafen, wenn Lily nicht herunterkommt, um ihn anzuhören", fuhr Amelia fort, während sie Hermiones Reaktion aufmerksam beobachtete.
Hermione schien nicht sprechen zu können. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, also nickte sie langsam. Was wäre, wenn Ron oder Harry das fallen gelassen und versucht hätten, sich zu entschuldigen? Wie wäre sie damit umgegangen? Offensichtlich hatte Lily die Entschuldigung von Severus nicht angenommen, denn sie redete offensichtlich immer noch nicht mit ihm. Aber wäre Hermione in der Lage gewesen, Ron oder Harry wegen eines Fehlers, wenn auch eines schrecklichen, so doch eines Fehlers, aus ihrem Leben auszuschließen?
Wenn man jemanden liebt, egal ob es sich um einen Partner, einen Freund oder ein Familienmitglied handelt, muss man in der Lage und bereit sein, ihm zu verzeihen. Auch wenn, oder gerade wenn, sie etwas Schlimmes angestellt haben. Ja, was Severus getan hat, war furchtbar, aber war es unverzeihlich?
Sie versuchte, die ganze Situation objektiv zu betrachten. Er war gerade in der Luft aufgehängt worden, die Roben fielen herunter, und seine Unterwäsche war für die ganze Schule sichtbar. James und Sirius hatten ihn vor einem Publikum zu ihrer eigenen Unterhaltung körperlich und seelisch misshandelt. Severus war ein stolzer junger Mann und sein Ego musste in diesem Moment schwer verletzt worden sein. Und dann kam Lily daher, um seinen Kampf für ihn zu kämpfen. Etwas, von dem Hermione sicher war, dass es ihm nicht gefallen hätte.
Das entschuldigte zwar nicht, was er getan hatte, aber Hermione verstand, warum es passiert war. Wenn sie an Lilys Stelle gewesen wäre, hätte sie ihm wahrscheinlich irgendwann verziehen, dachte sie. Sie wäre wütend auf ihn gewesen, hätte ihn angeschrien und ihn wahrscheinlich eine Zeit lang mit Schweigen bestraft. Aber wenn er ihr Freund war, hätte sie es in ihrem Herzen gefunden, ihn wieder zurückzunehmen.
„Und sie hat ihm nie verziehen?" fragte Hermione nach Minuten des Schweigens.
Amelia sah verblüfft aus. „Natürlich nicht!" sagte sie, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. „Hättest du?"
„Ja", antwortete Hermione ohne zu zögern.
Amelia sah aus, als fiele es ihr schwer, ihr zu glauben.
„Manchmal sind die Menschen, die wir lieben, diejenigen, die uns am meisten verletzen können. Das heißt aber nicht, dass wir ihnen nicht verzeihen sollten, wenn sie es tun. Jeder sagt oder tut manchmal Dinge, die er nicht so meint. Das ist Teil des Menschseins. Ich bin mir sicher, dass er das, was er gesagt hat, nicht so gemeint hat, und es klingt so, als hätte er es in dem Moment bereut, als das Wort seine Lippen verließ. Ich entschuldige nicht, was er getan hat, oder sage, dass es richtig war, aber ich denke nicht, dass es fair von Lily ist, es ihm für immer vorzuhalten. Vor allem, wenn sie sich so nahe standen."
Amelia zuckte mit den Schultern. „Ich nehme an, du hast recht, aber trotzdem. Es war eine beschissene Sache, die er da getan hat."
„Ich sage nicht, dass es das nicht war", stimmte Hermione zu.
„Sei einfach vorsichtig in seiner Nähe, Hermione", sagte Amelia aufrichtig.
Hermione war von der plötzlichen Wendung in ihrem Gespräch überrascht.
„Oh!" Ihre Augen weiteten sich. „Stimmt. Das – das werde werde", versprach sie.
Amelia wirkte von Hermiones halbherziger Antwort nicht annähernd überzeugt.