Sirius Black und der Wächter des Reinen Blutes


Erstes Kapitel

Das Haus der Blacks


Nummer zwölf, Grimmauldplatz in London, schien nach außen hin ein ganz normales Haus zu sein. Es lag inmitten einer Reihe etwas heruntergekommener Einfamilienhäuser, in denen ganz normale, nichtmagische Menschen lebten und unterschied sich auch sonst auf den ersten Blick in keiner Weise von den Nachbarhäusern.

Die gleichen hölzernen Fensterläden, die gleiche dreckige Farbe, die an manchen Stellen bereits vom Putz abbröckelte. Das Haus besaß sogar die gleiche, große Tür, mit dem gleichen, schwarzen Anstrich und dem gleichen, silbernen Türklopfer, wie Nummer elf und dreizehn, von welchen es flankiert wurde. Man konnte zwar bei genauerer Betrachtung feststellen, dass der Türklopfer wie eine gewundene Schlange geformt war, doch alles in allem war die Ähnlichkeit mit den umliegenden Häusern verblüffend.

In der Tat konnte man meinen, der einzige Unterschied bestehe in der Hausnummer, die eben nicht elf oder dreizehn, sondern zwölf war.

Doch wenn ein normaler Mensch hinter die Fassade des alten Hauses geblickt hätte, wäre er wohl aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen.

In der langen, düsteren Eingangshalle von Nummer 12 waren entlang der Mauern Gaslaternen angebracht, die ein spärliches, flackerndes Licht auf die Porträts an den Wänden warfen. Der Kronleuchter, der an der Decke befestigt war, wies ebenfalls die Form einer Schlange auf.

Hinter der Tür stand ein Schirmständer, der aus einem Trollbein gefertigt war, und eine einfache Treppe führte hinauf ins Obergeschoss. An der Wand neben der Treppe befanden sich Schrumpfköpfe, die wie die Trophäen eines Jägers an Tafeln befestigt waren.

Es handelte sich dabei um Köpfe von Hauselfen, hässliche Kreaturen. Schon seit Tausenden von Jahren mussten sie den Zaubererfamilien dienen. Bis zum Tod waren sie einer Familie verpflichtet, denen sie treu ergeben waren. Freiheit bot sich ihnen nur, wenn ihre Herren ihnen Kleidung schenkten, was die Hauselfen aber auch gar nicht wollten und was auch nie vorkam, besonders nicht im Hause der Blacks.

Denn die Blacks waren eben keine Muggel und somit auch keineswegs normal, sondern eine alteingesessene Zaubererfamilie. Sobald ein Hauself nicht mehr in der Lage war, der Familie hinreichend zu dienen, wurde er geköpft und zu seinen Vorgängern an die Wand gehängt.

An derselben Wand hing auch ein großes Wappen mit zwei silbernen Schlangen, die ineinander verschlungen die Welt auffraßen und von den Worten ›Toujours pur‹ eingerahmt waren.

Es handelte sich hierbei um das Wappen der Familie Black. Dieses alte Geschlecht bewohnte das Gebäude bereits seit vielen Generationen, und nie hatte sich darin allzu viel verändert, was daran liegen mochte, dass bei den Blacks, wie auch bei den meisten reinblütigen Familien, auf Traditionen geachtet wurde.

In ihrem Falle hieß das, dass sie alle Zauberer mieden, die von ihren eigenen Vorstellungen, was eine gute Zaubererfamilie ausmachte, abwichen (zum Beispiel war die Reinblütigkeit ein solches Kriterium einer ›guten Zaubererfamilie‹).

Sirius, der ältere ihrer beiden Söhne, war so ein Fall. Es kam so gut wie nie vor, dass ein Black ›auf die falsche Bahn geriet‹, woran seine Eltern Sirius mindestens zweimal täglich erinnerten. Denn er interessierte sich, im Gegensatz zu seiner Familie, die sich seit Urzeiten der dunklen Magie und den schwarzen Mächten verschrieben hatte, nicht für Flüche und dergleichen.

Die Blacks verkehrten ausschließlich mit ihresgleichen, wie etwa den Malfoys, Crabbes, Lestranges und Goyles. So hatte Sirius sich im Laufe seines elfjährigen Lebens daran gewöhnt, von seiner Mutter mit missbilligenden Blicken traktiert oder mit seinem überaus überragenden Bruder Regulus verglichen zu werden, der um einiges höher in der Gunst seiner Eltern stand..

Spätestens wenn jemand das ungewöhnliche Gespräch von Capella und Pherkard Black am Mittagstisch belauscht hätte, wäre ihm klar geworden, dass sich der Grimmauldplatz Nummer zwölf doch gänzlich von den anderen Häusern der Straße unterschied.

Sirius' Eltern unterhielten sich nämlich gerade angeregt über das neue Muggelschutzgesetz, während Sirius geistesabwesend auf den vollen Tisch starrte.

Muggelgesetze interessierten ihn nicht im Geringsten, besonders dann nicht, wenn sich seine Eltern darüber aufregten. Außerdem hatte er nicht viel mit Muggeln – nichtmagischen Menschen – zu tun, weil Pherkard und Capella diese sogar noch mehr verabscheuten als muggelgeborene Hexen oder Zauberer, ›Schlammblüter‹, wie sie diese abwertend bezeichneten.

Sein Blick folgte Regulus' gierigen kleinen Händen, wie er sich haufenweise Gulasch auf seinen Teller schaufelte, aber Sirius selbst brachte momentan keinen einzigen Bissen herunter. Angewidert wandte er den Blick ab, um ihn durch die Küche schweifen zu lassen.

Auch hier wurde man ständig an die dunklen Machenschaften erinnert, in die seine Familie fortwährend verstrickt war: Der Raum war ebenso düster wie der Rest des Hauses, was wohl an den rauen Steinwänden lag.

Im Kessel über dem Kaminfeuer blubberte ein Zaubertrank, der einen abstoßenden Geruch verströmte, im Regal über der Spüle standen Bücher mit Rezepten und Zaubersprüchen, deren verheerende Wirkung Sirius sich noch nicht einmal vorstellen wollte, und Regulus' Hausratte Siggi war gerade damit beschäftigt, heruntergefallene Krümel vom Boden zu fressen.

Sirius konnte froh sein, in der Mitte der Küche an dem großen Tisch zu sitzen, wo es wenigstens nicht ganz so finster wie im Rest des Raumes war.

Er zuckte zusammen, als sein Vater mit der Faust auf den Tisch schlug. So wurden seine Gedanken nämlich gegen seinen Willen auf das Gespräch der Eltern gelenkt.

»Diese Muggel sind sowieso zu überhaupt nichts nütz!«, donnerte Pherkard gerade. »Wozu sollte man die denn schützen! Ausrotten sollte man sie!«

»Du hast ja so Recht!«, stimmte Capella ihm zu. »Erst letztens hat mir so eine Muggelfrau nachgeschaut, als ich vom Einkaufen kam und meinen neuen Kessel dabei hatte! Und nun will uns das Zaubereiministerium auch noch verbieten, dass wir unsere Einkäufe öffentlich heimbringen! Nein, heimlich sollen wir es tun!«

»Im Ministerium sitzen sowieso nur Unwürdige!«, nickte Pherkard. »Ich werde nie verstehen, wie sie so einen unfähigen Zauberer wie diesen Wanderon zum Zaubereiminister wählen konnten!«

Er warf sein Besteck klirrend auf seinen leeren Teller, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen.

»Wenn er wenigstens Reinblüter wäre! Aber ein Halbblüter, wie der, wird sich sicherlich nicht lange halten können!«

Nachdem nun alle ihr Mahl beendet hatten, ließ Capella wie üblich Kreacher, den Hauselfen der Familie, kommen, um den Tisch abzuräumen.

Wenn es jemanden gab, den Sirius mehr hasste, als seine Eltern und seinen Bruder, dann war das (abgesehen natürlich von seinen Cousinen Bellatrix, Narzissa und den Malfoys) zweifellos ihr dämlicher Hauself, der besonders Capella verehrte.

Sirius atmete innerlich auf, weil niemand bemerkt hatte, dass er nichts gegessen hatte. Manchmal verging ihm in diesem Haus, wo alles nur so vor schwarzer Magie strotzte, einfach der Appetit.

»Ha, ich wette, dieser Schwachkopf, der sich Minister nennt, wird es kein Jahr durchhalten! Nicht, wenn es noch Leute gibt, wie diesen Dunklen Lord, von dem in letzter Zeit alle reden«, ereiferte sich Capella.

Sirius hörte nur mit halbem Ohr zu. Stattdessen überlegte er lieber, ob er es wagen könnte, aufzustehen und sich in sein Zimmer zurückzuziehen…

»Der Mann hat die richtigen Ansichten.«, pflichtete Pherkard seiner Frau bei. »Seine Einstellung zu Muggeln – der spricht mir aus der Seele. Verbrennen sollte man die, so wie sie damals im Mittelalter unsinnigerweise unsere Vorfahren vernichten wollten. Ich sag's ja, dümmer als Trolle, diese Muggel! Als ob man uns auf so einfache Muggelmanier töten könnte… Die sollte man allesamt vernichten!«

»Warum die im Ministerium Flüche selbst gegen Muggel nicht zulassen, wird mir immer ein Rätsel bleiben«, schnaubte Capella verächtlich. »›Unverzeihlicher Fluch‹, ha! Wenn ich das nur schon höre!«

Sirius war klar, dass seine Eltern, wenn sie im Ministerium irgendetwas zu sagen hätten, Sprüche wie den Todesfluch Avada-Kedavra sofort legalisieren würden.

Als Kreacher endlich mit dem Abwasch fertig war und die Küche schlurfend wieder verließ, wollte Sirius es wagen, unauffällig hinter ihm aus dem Raum zu schleichen, um so seine Familie mit ihren politischen Gesprächen alleine zu lassen, denn wenn Pherkard einmal anfing, sich über Politiker und das Zaubereiministerium auszulassen, dann konnte das stundenlang so weitergehen!

Doch sein kleiner Bruder Regulus unterbrach diese unsinnige Unterhaltung: »Mummy, bringst du mir nachher wieder ein paar Flüche bei? Ich kann den Bluter-Fluch von letzter Woche schon richtig gut!«

Regulus war von jeher darauf erpicht gewesen, die alte Familienmagie der Blacks zu erlernen, die sich natürlich ausschließlich auf die dunkelsten Zaubereien beschränkte. Dieser Einwand machte die Situation für Sirius nicht nur keinen Deut besser, es verschlimmerte sie sogar noch (wenn das überhaupt noch möglich war):

Seine Chancen, den Tisch zu verlassen, standen wieder gleich null, denn Capella erwiderte ihrem Sohn freudig: »Aber natürlich, Schätzchen. – Wenigstens einer meiner Söhne scheint sich für richtige Zauberei zu interessieren.«

Sie warf Sirius einen bösen Blick zu, doch der versuchte weiterhin, starr in das Kaminfeuer zu blicken.

Er kannte diese Bemerkungen seiner Eltern mittlerweile gut genug, um sie nicht mehr zu beachten, schließlich war Regulus ohnehin das erklärte Lieblingskind der Familie. Wo immer sie hinkamen, scharten sich alle um seinen begabten kleinen Bruder… ›Begabt‹ zumindest in sofern, als dass er keine Gelegenheit ausließ, ein paar schwarzmagische Flüche zu üben, die seinem Niveau entsprachen.

Der Bluter-Fluch (bei dem das Opfer die Bluter-Krankheit bekam, bis der Spruch aufgehoben wurde) war mithin einer der schwierigsten Zauber, die er bereits beherrschte.

Sirius schüttelte darüber, was seine Eltern als ›richtige Zauberei‹ bezeichneten unbewusst den Kopf, wobei er weiterhin in das Feuer starrte.

Plötzlich nahm er wahr, wie die Flammen im Kamin, auf die er geistesabwesend gestiert hatte, sich grün verfärbten. Im nächsten Moment erschien ein blonder Junge darin, der schnell beiseite trat, sodass eine Hexe mit einer riesigen Handtasche folgen konnte.

Als beide breit grinsend in der Küche der Blacks standen, nahmen die Flammen, die Sirius noch immer (ohne den Neuankömmlingen Beachtung zu schenken) unentwegt anstarrte, wieder ihre normale Farbe an.

Sirius selbst war bisher nicht oft mit Flohpulver gereist, aber er hasste es, wenn Zauberer unangemeldet einfach aus dem Kamin auftauchten.

Mrs Malfoy und ihr Sohn Lucius lächelten freudig (wie Sirius fand, ein überheblich-geheucheltes Lächeln), als ob ihnen der Gedanken fremd wäre, möglicherweise ungelegen zu kommen.

Sehr zu Sirius' Leidwesen waren sie immerhin eng mit den Blacks befreundet, da sie ebenso dunkle Zauberer waren, wie sie selbst; auch ihre Reinblütigkeit konnte man mindestens auf zehn Generationen zurückverfolgen.

Während Sirius die Malfoys keines Blickes würdigte, stand Capella auf, um ihre Freundin zu begrüßen: »Viola, wie schön dich zu sehen! Was führt euch zu uns?«

Regulus war aus Langeweile zu Siggi auf den Boden umgezogen, um diesen zu triezen, indem er ihm die Essenskrümel direkt vor die Nase hielt und wenn die Ratte dann zuschnappen wollte den Krümel schnell wieder weg nahm.

Jedes Mal, wenn die Ratte versuchte ihn zu beißen, lachte Regulus nur triumphierend auf. Sirius beobachtete die Szene eine Zeit lang aus den Augenwinkeln (wohl wissend, dass Siggi diese Spielchen allmählich gewohnt war, weil Regulus die Zauberratte schon zu seinem fünften Geburtstag bekommen hatte), und so bekam er kaum die Unterhaltung der Erwachsenen mit.

»Ach, Lucius hat heute seinen Brief von Hogwarts bekommen. Und stell dir vor, er ist Schulsprecher geworden!« Mrs Malfoy warf Lucius einen stolzen Blick zu. »Aber eigentlich sind wir hier, um euch abzuholen. Wir wollen in die Winkelgasse gehen, um seine Schulbücher zu kaufen, und dachten, dass Sirius vielleicht mitkommen will, weil er doch dieses Jahr endlich nach Hogwarts kommt.«

»Oh, Sirius hat seinen Brief noch gar nicht bekommen«, meinte Capella verlegen.

Gleichzeitig warf Pherkard, der ebenfalls aufgestanden war und nun neben seiner Frau stand, Sirius einen bösen Blick zu, als wäre es allein dessen Schuld.

Eine Zeit lang hatten seine Eltern sogar geglaubt, Sirius sei ein Squib, nur weil er nicht an schwarzer Magie interessiert war.

Sie konnten einfach nicht verstehen, wie man magisch begabt sein konnte und trotzdem keine Dunklen Flüche lernen wollte. Von daher hatte es für sie auf der Hand gelegen, dass Sirius, obwohl sie selbst Hexe und Zauberer waren, keinerlei magische Fähigkeiten besaß.

Tatsächlich hatten sie erst herausgefunden, dass er ein ganz normaler Zauberer war, als er im Alter von vier versehentlich ein Gift genommen hatte, dass eigentlich für Muggel bestimmt gewesen war, und welches ihn ohne Zweifel getötet hätte, hätte er keine Zauberkraft besessen.

»Ihr könnt ja mal bei Desdemona vorbeischauen«, schlug Capella nun vor. »Ich glaube, Bellatrix ist auch Vertrauensschülerin geworden. Sie kommt ja jetzt in die fünfte Klasse.«

Capellas Blick traf Sirius zurückweisend, wie üblich, was er selbstverständlich nicht beachtete.

Mrs Malfoy und Lucius hatten anscheinend noch nicht verstanden, dass es für sie an der Zeit war zu gehen, denn sie standen etwas untätig herum. Lucius sah dies scheinbar als guten Anlass, Sirius hämisch anzugrinsen.

In der darauf folgenden peinlichen Stille öffnete sich die Tür und Kreacher betrat schlurfend den Raum.

In den Händen trug der Hauself einen weißen Umschlag und als er sich Capella näherte, krächzte er unterwürfig: »Ein Brief an Ihren Sohn, Herrin, von Hogwarts.«

Er erntete einen hasserfüllten Blick von Sirius' Mutter, die fauchte: »Und warum bringst du uns den jetzt erst! Wir dachten schon, Sirius wäre gar nicht in Hogwarts aufgenommen worden!«

»Die Eule hat ihn eben erst gebracht, Herrin«, quietschte der Hauself, warf sich vor ihr auf den Boden und berührte mit dem Kopf die grauen Fliesen, als erwarte er seine berechtigte Bestrafung.

Doch Capella riss der elenden Kreatur den Brief aus der Hand und warf ihn Sirius zu, wobei sie schnauzte: »Was gibst du dann mir den Brief, wenn er für meinen Sohn ist? Und jetzt schick gefälligst eine Eule als Bestätigung zurück, dass wir den Brief erhalten haben!«

Der Hauself zog die Ohren ein, erhob sich aber wieder und schlich nach draußen, während Sirius den Brief begutachtete, welcher mit einem roten Siegel verschlossen war. In dunkelgrüner Tinte stand darauf geschrieben:

Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei

Sirius brach das Siegel hastig auf und zog aufgeregt zwei Zettel daraus hervor. Währenddessen war das Gesprächsthema seiner Eltern und der Malfoys zu ihrem Lieblingsthema übergegangen: Der Reinblütigkeit…

In dem Brief stand folgendes:

Schulleiter: Albus Dumbledore

(Orden der Merlin, Erster Klasse, Großzauberer, Hexenmeister, Ganz hohes Tier, Internationale Vereinigung der Zauberer)

Sehr geehrter Mr Black,

Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass Sie an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen sind. Beigelegt finden Sie eine Liste aller benötigten Bücher und Ausrüstungsgegenstände.

Das Schuljahr beginnt am 1. September. Wir erwarten Ihre Eule so bald wie möglich.

Mit freundlichen Grüßen

Minerva McGonagall

Stellvertretende Schulleiterin

Auf diesen Brief hatte Sirius den ganzen Sommer über – und besonders seit seinem elften Geburtstag vor zwei Wochen – gewartet.

Er wollte gerade den zweiten Zettel zur Hand nehmen, da meinte Mrs Malfoy: »Ach, übrigens haben wir noch Geschenke für Sirius' Aufnahme auf Hogwarts mitgebracht!«

Sie kramte in ihrer immensen Handtasche und brachte einen grünen Schal mit silbernen Streifen zum Vorschein; die Slytherin-Farben! Slytherin war eines der vier Häuser Hogwarts', um genau zu sein das Haus, welches bisher die meisten Schwarzmagier hervorgebracht hatte.

Daneben gab es noch Ravenclaw, wo die klügeren Zauberer hinkamen, Gryffindor, das Haus der Ehrenhaften und Mutigen und schließlich Hufflepuff, wo die Treuen und Hilfsbereiten – in Sirius' Augen allerdings die Verlierer – hinkamen, denn meistens kam der Rest nach Hufflepuff; die Zauberer, die in kein anderes Haus passten.

Normalerweise würde man erst am ersten September wissen, in welches der vier Häuser man eingeteilt wurde, doch bei Sirius war der Fall klar: Da bisher alle seine Familienmitglieder in Slytherin gewesen waren, würde auch er ohne Zweifel ebenfalls dorthin kommen, wenngleich er vieles darum geben würde, nicht dieses Schicksal erfahren zu müssen.

»Damit er seine Hausmannschaft anfeuern kann«, erklärte Mrs Malfoy, drückte ihm den Slytherin-Schal in die Hand und kramte auch schon nach einem Umhang, der aus smaragdgrünem Samt gefertigt und eigentlich sogar recht hübsch war. – Abgesehen davon, dass er ebenfalls in den Slytherin-Farben gehalten war. »Und der ist für festliche Angelegenheiten. Leider tragen ja alle Hogwarts-Schüler schwarz… Ich finde ja, jeder sollte seine eigenen Hausfarben tragen dürfen, dann könnte man die Fähigen leichter von den Versagern unterscheiden! Wenigstens wird in Slytherin die Reinblütigkeit noch hochgehalten!«

Damit drückte sie Sirius auch den Umhang in die Hand, worauf Capella sich überschwänglich bedankte.

Sirius, der die Sachen beiseite gelegt hatte, um die Arme wieder frei zu haben, startete einen zweiten Versuch, das andere Pergament zu lesen, doch nun hatte sich seine Mutter zur Genüge bedankt und drängte ihn: »Los Sirius, beeil dich gefälligst, wir wollen die Malfoys schließlich nicht warten lassen!«

Damit schüttete sie ihm etwas Flohpulver aus einem kleinen Fläschchen, welches auf dem Kaminsims bereitstand, in die Hand und schob ihn zum Kamin.

Während Capella auch den Malfoys von dem Flohpulver gab, versuchte Sirius den Zettel, den er noch immer festhielt, zusammenzufalten und in seine Umhangtasche zu stecken, was ihm nicht ganz gelang. Genervt schob Lucius ihn zur Seite, um als erster sein Flohpulver ins Feuer zu werfen und dann in die Flammen, die sich erneut grün gefärbt hatten, hinein zusteigen.

»Winkelgasse«, sagte er deutlich, woraufhin er in einem Strudel grüner Flammen verschwand.

Endlich hatte Sirius es geschafft, seinen Brief in die Tasche zu stopfen, sodass er es Lucius gleich tun konnte. Auch er trat in die Flammen und sagte laut »Winkelgasse«.

Im nächsten Moment sah er, wie die Welt um ihn herum verschwamm. Er wirbelte im Kreis durch einen Strudel aus bunten Farben, an unzähligen Kaminen vorbei, bis er schließlich aus dem Feuer herausgeschleudert wurde und in einer Wirtsstube landete.

An den kahlen Holztischen saßen unzählige Zauberer und Hexen in ihren farbenprächtigen Umhängen.

Der Junge richtete sich wieder auf und rieb sich seine schmerzenden Knie, auf die er gefallen war, doch die Zauberer im ›Tropfenden Kessel‹, wie das Wirtshaus hieß, schien es nicht zu stören, dass da plötzlich jemand aus dem Kamin gestolpert kam. Im Gegenteil: Sie hielten es wohl für so gewöhnlich, dass die meisten nicht einmal mehr aufblickten.

Wie sehr wünschte sich Sirius manchmal, mit ganz normalen Zauberern Umgang zu haben, die nicht die ganze Zeit irgendwelche dunklen Machenschaften planten. Aber da trat hinter ihm auch schon Mrs Malfoy aus dem Feuer und schob ihn zur Seite.

»Was trödelt ihr denn so? Wir haben noch was zu tun«, grummelte sie unfreundlich und im selben Augenblick erschien Sirius' Mutter im Kamin.

Ohne Sirius anzusehen schritt sie vorneweg aus der Hintertür des ›Tropfenden Kessels‹, dicht gefolgt von den Malfoys, Sirius zum Schluss hinterher.

Hinter dem Gasthaus befand sich nichts als ein kleiner Hinterhof, der von einer Mauer begrenzt wurde, doch Capella wusste anscheinend genau, was zu tun war, denn sie zückte ihren Zauberstab und berührte die Mauer an einer auserlesenen Stelle, woraufhin sich diese öffnete und eine lärmende Straße offenbarte: Die Winkelgasse.

Capella schritt zu ihrem Sohn hin und drückte ihm ein paar Galleonen in die Hand.

»Hier, du weißt ja, was du einkaufen musst. Wir sehen uns heute Abend daheim!«, befahl sie, ehe sie mit Mrs Malfoy und Lucius in der Menge verschwand.

Sirius blickte ihnen düster nach und seufzte tief. »Na dann, auf geht's«, sagte er leise zu sich selbst.

Es war offensichtlich, dass das nächste Schuljahr vor der Tür stand, denn es liefen nicht nur viele Kinder mit ihren Eltern aufgeregt umher, die wohl allesamt ihr erstes Schuljahr antreten würden, sondern auch Grüppchen von älteren Schülern, die schon routinemäßig die Läden der Reihe nach abklapperten.

In der Nähe entdeckte Sirius Lucius, der einige seiner Schulfreunde (unter anderem ein paar von Sirius' Verwandten) getroffen hatte, mit denen er nun lachend in die entgegengesetzte Richtung abzog.

Beiläufig steckte Sirius das Zauberergeld in die Tasche und zog dafür die Hogwartsliste wieder heraus. Sie war zwar an den Ecken etwas verkohlt, aber er konnte trotzdem noch lesen, was er alles brauchte.

Abgesehen von den Umhängen und Schulbüchern standen auch Drachenlederhandschuhe, ein Kessel, ein Teleskop (für Astronomie, wie Sirius vermutete) und natürlich ein Zauberstab auf der Liste.

Mit einem Seufzer faltete Sirius den Zettel abermals zusammen und steckte ihn in seinen Umhang zurück, als er sich auf den Weg zu ›Madam Malkins – Anzüge für alle Gelegenheiten‹ machte, um Punkt eins zu erledigen.

Auf dem Weg dorthin kam er an einem kleinen Laden vorbei, der sich ›Qualität für Quidditch‹ nannte und vor dessen Schaufenster ein schwarzhaariger Junge mit seiner Mutter stand. Er musste etwa in Sirius' Alter sein und seine Haare standen ihm in alle Richtungen ab.

»Mum, dieser Besen ist so cool! Kann ich den haben? Das macht sich bestimmt gut, wenn ich als Erstklässler mit meinem eigenen Besen dort vorfliege!«, versuchte der Junge seine Mutter von seiner Idee zu begeistern, wobei er unentwegt auf ein neues Modell eines ziemlich teuren Rennbesens starrte.

Sirius verdrehte nur die Augen, im Weitergehen hörte er aber noch, wie die Mutter antwortete: »James, ich hab dir doch schon gesagt, dass Erstklässler keine Besen besitzen dürfen. – Dafür bekommst du jetzt eine Eule.«

Nachdem Sirius um die nächste Ecke gebogen war, murmelte er vor sich hin: »Mann, schon wieder so ein verzogener Bengel wie mein kleiner Bruder! Hoffentlich komm ich mit dem nicht in ein Haus!«

Allerdings war es recht unwahrscheinlich, dass so ein verzogener Bengel nach Slytherin kommen würde.

Wie er von seinen Verwandten, die Hogwarts bereits absolviert hatten, mitbekommen hatte (und das war nicht allzu viel, da sich für gewöhnlich alle lieber mit Regulus unterhielten), fand die Verteilung auf die verschiedenen Häuser gleich am ersten Abend des neuen Schuljahres statt.

Er hatte einmal aufgeschnappt, wie Lucius erzählt hatte, dass ein Hut die Entscheidung treffen würde, wie auch immer das funktionieren sollte…

Er erreichte Madam Malkins Laden und trat durch die Ladentür.

Ein molliger kleiner Junge stolperte ihm entgegen, aber Sirius trat, anstatt ihn aufzufangen, einen Schritt zur Seite, sodass der Junge nach draußen fiel.

Ein genervter Zauberer schritt augenblicklich ebenfalls an Sirius vorbei, um den Jungen wieder zurück in den Laden zu holen.

»Mensch Peter, Madam Malkins hat doch gesagt, dass der Umhang zu lang für dich ist«, schalt der Mann den Jungen, der, wie es schien, sein Sohn war.

Jedenfalls war eine Ähnlichkeit nicht zu übersehen: Beide waren von kleinerer Statur und selbst die mausgraue Haarfarbe musste der Sohn von ihm geerbt haben.

»Ich hoffe in Hogwarts gewöhnen sie dir diese Schusseligkeit ab!«

Sirius grinste bei dem Gedanken daran, dass dieser Peter mit Sicherheit nach Hufflepuff kommen würde, in sich hinein.

Er selbst ging auf eine ältere Hexe zu, die ihn nur fragte: »Hogwarts?« und ihn, noch während Sirius nickte, auf einen Hocker schob und im hinteren Teil des Ladens verschwand.

Sirius sah sich neugierig um. Sein Blick blieb wieder an dem kleinwüchsigen Jungen hängen, der sich in der Zwischenzeit völlig in seinem Umhang verheddert hatte.

Er bekam jedoch nicht mehr mit, was weiter geschah, denn einen Augenblick später kam Madam Malkins mit ein paar Roben zurück, die sie ihm sogleich anpasste.

»Dieser dunkle Umhang passt ja wunderbar zu deinen schwarzen Haaren!«, schwärmte Madam Malkins bei der Arbeit. »Und er betont die Augen…«

Sirius fragte sich, wie ein schlichter schwarzer Umhang seine grauen Augen betonen sollte, doch er war viel zu sehr damit beschäftigt aus den Augenwinkeln zu beobachten, wie Peter mit seinem Vater aus dem Geschäft stolperte.

Alles in allem war Sirius heilfroh, als er endlich seine Sachen bezahlen und auf die lärmende Straße zurückkehren konnte.

Er war schon fast bei Flourish & Blotts, einem Bücherladen, angelangt, da hörte er wieder die Stimme des Jungen, der den Besen haben wollte.

»Toll, Mum! Danke! Die ist wirklich cool!«, freute sich dieser, als er mit seiner Mutter und einer gefleckten Eule aus einem Laden trat, der sich ›Eeylops‹ nannte.

»Jetzt müssen wir aber deinen Kessel für Zaubertränke besorgen, James, beeil dich bitte ein bisschen«, entgegnete seine Mutter lächelnd, wobei sie ihm durchs Haar wuschelte, welches ohnehin schon unordentlich genug war.

James trug den Käfig mit der Eule stolz die Straße hinab.

Ein magisches Tier brauchte Sirius auch noch! Und Eulen waren wirklich nützlich, da sie einem immer die Post bringen konnten. Sirius erwartete allerdings nicht, viele Briefe von daheim zu erhalten, wenn er erst einmal in Hogwarts war – im Gegenteil, er war sich sogar ziemlich sicher, von seinen Eltern keinen einzigen Brief zu bekommen. Selbst dann nicht, wenn Regulus es endlich beim Herumzaubern schaffen sollte, ihr Haus in die Luft zu jagen (Sirius glaubte kaum, dass er je so viel Glück haben würde) – aber diesem eingebildeten James würde er es zeigen! Ein besseres Tier als seine Eule würde er allemal finden!

Und mit dem Gedanken betrat Sirius die ›magische Menagerie‹, ein Geschäft mit magischen Tierwesen.

Kaum stand er in dem stickigen Zwielicht des Ladens, da hörte er ein heiseres Krächzen.

Er blickte zur Decke und erkannte einen pechschwarzen Raben in einem Käfig, der ihm direkt in die Augen blickte.

Sirius erwiderte den Blick und nickte dem Raben zu. Er hatte das seltsame Gefühl, der Vogel würde ihm erfreut zublinzeln. Ohne einen weiteren Blick auf die übrigen Tiere zu verschwenden, ging er zu der Hexe hinter dem Ladentisch und zeigte auf den Käfig mit dem Raben.

»Den will ich haben«, bedeutete er der Frau.

»Aber der hat ein paar Macken…«, versuchte diese ihm zu erklären, doch Sirius wischte ihre Bedenken mit einer Handbewegung weg.

»Den will ich haben«, wiederholte er scharf.

Perplex sah ihn die Hexe noch einen Augenblick lang an, dann nahm sie den Käfig mit dem Raben herunter und sagte eingeschnappt: »Drei Galleonen wären es dann.«

Sirius warf ihr das Gold zu und packte wortlos den Käfig. Er musterte seinen neuen Freund aufmerksam, der ihn heiser ankrächzte.

»Oxbow«, beschloss Sirius seinen Namen, ohne länger darüber nachgedacht zu haben.

Als er die Menagerie verließ, betraten zwei Mädchen den Laden, das eine mit dunkelbraunen langen geflochtenen Zöpfen; die andere hatte rotes, lockiges Haar. Sie warfen Sirius und Oxbow seltsame Blicke zu, kümmerten sich aber nicht weiter um sie, sondern wandten sich einem Käfig zu ihrer Rechten zu, in dem Mäuse oder Ratten oder sonst irgendetwas Haariges umherhüpften.

»Oh, Lily, die Springmäuse da! Sieh mal«, quietschte die Braunhaarige mit den Zöpfen jetzt aufgeregt.

Sirius verdrehte wieder nur die Augen und fragte sich insgeheim, ob er nur von Idioten umgeben war. Hoffentlich besserte sich das in Hogwarts.

Als er schließlich nur noch seinen Zauberstab zu besorgen hatte, ging er mit etlichen Päckchen beladen zu ›Ollivanders‹.

Seufzend hievte er seine Last die beiden Stufen zur Eingangstür empor und betrat den Laden, woraufhin weit hinten eine Glocke Sirius' Ankunft verkündete. Überall um ihn herum stapelten sich kleine, längliche Schächtelchen und hinter einem Tisch stand ein alter Mann mit zerzaustem Haar.

»Sie müssen der junge Mr Black sein«, begrüßte er Sirius.

Dieser stellte schwer atmend seine Pakete und Päckchen auf den Boden, vorsichtshalber ohne zu fragen, woher der Fremde seinen Namen kannte. In der Zaubererwelt konnte man nie wissen…

Mr Ollivander zog unterdessen bereits den ersten länglichen Karton aus den voll gepackten Regalen. »Einhornhaar in Birkenholz, 12 Zoll«, erklärte er dabei, als er den Zauberstab Sirius hinhielt.

»Abraxas«, sagte Sirius, dem kein echter Zauberspruch einfiel, während er den Zauberstab hin und herwedelte.

Mr Ollivander stand das Entsetzen schon ins Gesicht geschrieben, noch bevor er plötzlich kopfüber von der Decke hing.

»Oh!«, stellte Sirius baff fest, der eigentlich nicht damit gerechnet hatte, dass bei diesem Spruch überhaupt irgendetwas passieren würde. Schließlich galt ›Abraxas‹ in der Zaubererwelt lediglich als uralte Formel, mit der man kleine Kinder auf den Arm nehmen konnte, ähnlich wie bei Muggeln ›Hokus Pokus Fidibus‹.

»Mr Black, würden Sie mich bitte wieder auf ebenen Boden lassen?«, bat Mr Ollivander ruhig, obwohl dessen Kopf schon rot anlief – ob vor Zorn oder einfach nur, weil er eben von der Decke hing, konnte Sirius nicht sagen.

»Und wie?«, fragte er daher etwas kleinlaut.

Die paar Male, die er bisher einen Zauberstab (meist den von seinem Vater) in der Hand gehalten hatte, hatten seine Eltern nur versucht, ihm Flüche beizubringen, die Sirius allerdings gar nicht erst lernen wollte. Denn obwohl er eigentlich sehr interessiert an Magie war, konnte er gut darauf verzichten, zu lernen, wie man einen anderen Zauberer am besten quälen konnte. Natürlich möglichst so, dass man keinen Zauber benutzte, für den man mit Sicherheit in das Zauberergefängnis Askaban geworfen werden würde.

Wie dem auch sei, selbst wenn er bei diesen Lektionen, die seine Eltern ihm ab und zu vergeblich beizubringen versucht hatten, aufgepasst hätte – keiner dieser Flüche hätte ihm in so einer Situation geholfen.

Seufzend erklärte Mr Ollivander: »Schwingen Sie den Zauberstab bitte von oben nach unten und sagen Sie ›Terrapono‹«

Sirius tat wie ihm geheißen und im nächsten Augenblick stand der alte Zauberer wieder hinter seinem Pult und riss Sirius den Stab hastig aus der Hand.

»Wenn ich Sie bitten dürfte, das nächste Mal den Zauberstab einfach nur durch die Luft zu schwingen«, meinte er, bevor er Sirius den nächsten reichte. »Das genügt schon, um herauszufinden, ob der Zauberstab Sie als Besitzer wählt. – Greifenfeder in Wacholder, 11 Zoll«, fügte er dann hinzu, wobei er vorsichtshalber einen Schritt zurück trat.

Sirius schwang den Zauberstab und spürte sogleich eine unerklärliche Wärme in sich hochsteigen. Eine Art Glücksgefühl erfüllte ihn, noch bevor der Zauberstab plötzlich bunte Funken sprühte, ohne dass Sirius auch nur die Lippen bewegt, geschweige denn einen Zauberspruch gesagt hatte.

»Das ist der Richtige, Mr Black«, grinste Ollivander begeistert (und offenbar sehr erleichtert, dass er für Sirius einen Zauberstab gefunden hatte, bevor der ihn nochmals an die Decke hängen konnte).

Sirius bezahlte den Zauberstab schnell und beeilte sich, aus dem Laden zu kommen.

Bestimmt hätte ihn nicht jeder Zauberstabverkäufer so leicht davonkommen lassen, nachdem er ihn an die Decke befördert hatte.

Draußen kehrte Sirius zufrieden in Richtung ›Tropfender Kessel‹ zurück.

Jetzt konnte sein erstes Schuljahr beginnen! Und mit dieser Ansicht verließ er, nachdem er Oxbow noch einmal zugezwinkert hatte, die Winkelgasse.

tbc...