Das Erbe Merlins


Erstes Kapitel

Wieder im Grimmauldplatz


Wieder einmal entschwanden die letzten Sonnenstrahlen eines heißen Sommertages über dem Grimmauldplatz und überließen das Feld den Laternen, in deren fahlen Licht die letzten Leute den Weg nach Hause durch die Straßen Londons suchten.

Fröhliches Lachen von Kindern, die den Tag damit verbracht hatten, zusammen mit Freunden ihre Ferien bei lustigen Spielen zu genießen, und die nun, da es dunkel wurde, eilig zu ihren Familien zurückkehrten, erfüllte die warme Abendluft.

Abgesehen von diesen letzten Nachzüglern lag der Grimmauldplatz jedoch friedlich und nahezu idyllisch im matten Schein der Laternen.

Doch es gab einen zwölfjährigen Jungen, der als einziger erkannte, was die Dunkelheit der Nacht wirklich bedeutete. Denn in der Nacht konnte die Finsternis, die ihn am Tage nicht durch dunkle Grübeleien einzuholen vermochte, mit eiskalten Fingern nach ihm greifen und ihn bis in die Morgenstunden gefangen halten.

Tatsächlich war für Sirius Black das einzig Gute an der Nacht die harmonische Stille, die er tagsüber im Grimmauldplatz zwölf, wo er mit seinen schwarzmagischen Eltern lebte, stets vermisste.

Seine Eltern, Pherkard und Capella Black, waren auch der Grund für diese endlosen Grübeleien, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Für sie zählte nur die Reinblütigkeit, denn sie selbst waren durch und durch Zauberer, welche die dunklen Künste ebenso ehrten, wie ihr reines Blut.

Sie hatten noch nie ein sehr gutes Verhältnis zu ihrem ältesten Sohn Sirius gehabt, der ihre Ansichten über die dunkle Seite der Zauberei nicht im Geringsten teilte.

Doch seit er letztes Jahr nach Hogwarts, der renommiertesten Schule für Hexerei und Zauberei Englands, gekommen war, hatte sich ihre Beziehung sogar noch verschlechtert.

Auf der Zaubererschule war Sirius an seinem ersten Tag von den vier Häusern Hogwarts' ausgerechnet nach Gryffindor geschickt worden, das Haus der Edlen und Mutigen. Seine Eltern hätten es allerdings lieber gesehen, wenn er nach Slytherin gekommen wäre, das Haus der Schlange, in welches die Blacks als reinblütige Zaubererfamilie schon seit Generationen eingeteilt worden waren. Dass Sirius dieses Erbe nicht fortgesetzt hatte, galt bei ihnen als höchster Verrat.

Doch Sirius hatte in Gryffindor drei hervorragende Freunde gefunden: Allen voran James Potter, mit dem er durch viele Abenteuer gegangen war und der stets zu ihm gehalten hatte. Dann waren da noch der gutmütige Werwolf Remus Lupin und Peter Pettigrew, ein eher ängstlicher kleiner Junge, den er zusammen mit James des Öfteren – vor allem vor Slytherins – beschützen musste.

Natürlich hatten seine Eltern Sirius verboten, seine Freunde in den Ferien zu treffen oder auch nur in irgendeiner anderen Weise mit diesen ›Blutsverrätern‹ Kontakt zu bewahren.

Sirius, der sowieso eine rebellische Natur war, hatte das selbstverständlich nicht davon abgehalten, den anderen zu schreiben und besonders zu James, seinem besten Freund, regen Briefverkehr zu halten.

Während der schwarzhaarige Junge nun wehmütig am offenen Fenster saß, voller Hoffnung, bald James' Antwort zu bekommen, dachte er über die Reaktionen seiner Eltern nach, sollten sie je herausfinden, dass er sich mit James fast täglich, beziehungsweise nächtlich, damit sie es nicht mitbekamen, schrieb.

Schließlich waren sie schon völlig ausgerastet, als sie erfahren hatten, dass er überhaupt eine Freundschaft mit Gryffindors eingegangen war. Ihm tat immer noch der Kopf von dem unverzeihlichen Cruciatus-Fluch weh, mit dem ihm seine Mutter gleich am ersten Tag der Ferien belegt hatte.

Diese Peinigungsserie war, obwohl etwas abgeschwächt, nicht abgerissen, einfach um ihm immer vor Augen zu halten, dass nicht er, sondern sein kleiner Bruder Regulus ihr Lieblingssohn war. Dieser tat schließlich alles, was seine Eltern von ihm verlangten, und würde eines Tages auch sicherlich das Erbe der Familie Black antreten…

In diese trüben Gedanken versunken bemerkte Sirius Oxbow erst, als er auf dem Fensterbrett landete.

Der Junge strich seinem Raben dankbar über das schwarze, glänzende Gefieder, bevor er das Pergament – James' Antwortbrief – von dessen Klaue entfernte.

Neugierig rollte er es auf und begann zu lesen, während er noch immer am offenen Fenster stand und eine kühle Brise ihm durch die langen, dunklen Haare fuhr:


Hi Sirius!

Na, wie läuft's? Drehen deine Alten immer noch so ab?

Meine Eltern haben angeboten, dass sie dich für die letzten Wochen zu uns holen, wenn du willst. Ja, ich habe ihnen von deiner Familie erzählt, werde bitte nicht wütend deshalb! Die reagieren auf solche Tatsachen echt immer ganz locker. Dass Remus ein Werwolf ist, haben sie auch so aufgenommen. Haben gleich gefragt, ob sie irgendwie helfen könnten.

Wo wir schon dabei sind: Hast du schon mal nach Animagibüchern gesucht? Bei uns herrscht absolute Leere in der Hinsicht. Ich wollte meine Eltern danach nun auch nicht unbedingt fragen, weil sie vielleicht doch Verdacht geschöpft und unangenehme Fragen gestellt hätten, warum ich denn zu einem Tier werden wollte oder so. Mal abgesehen davon, dass es für minderjährige Zauberer a) viel zu gefährlich und b) gar nicht erlaubt ist.

Schöne Grüße von Remus und Peter. Wir haben abgemacht, dass wir uns nächste Woche in der Winkelgasse treffen wollen. Versuch dich dann von daheim loszueisen, ja? Und lass bloß deine Verwandten zuhause. Hab keine Lust, mich mit Bella oder so rumzuärgern!

Freu mich, wenn wir wieder in Hogwarts sind, dann können wir zumindest wieder normal miteinander sprechen.

Ich geh jetzt ins Bett, halt die Ohren steif!

Viele Grüße, James


Sirius seufzte tief in Gedanken. Ja, er würde sich auch viel wohler fühlen, wenn er endlich wieder in Hogwarts wäre und sein verhasstes Elternhaus für ein Jahr hinter sich lassen konnte.

Er vermisste den gemütlichen Gryffindor-Gemeinschaftsraum mit dem prasselnden Kaminfeuer, den Schlafsaal, den er mit seinen Freunden und zwei anderen Mitschülern teilte, die verwinkelten Gänge des Schlosses und die launischen Treppen, die sich bewegen konnten, den Verbotenen Wald mit seinen Geheimnissen…

Aber am meisten vermisste er seine Freunde: James, der für ihn wie ein Bruder war, den hilfsbereiten Remus und sogar den kleinen, unscheinbaren Peter.

Sirius überflog noch einmal nachdenklich den Brief seines besten Freundes, welcher im Augenblick der einzige Halt war, an den er sich in dieser gottverlassenen Nacht an einem dunklen Ort wie diesem klammern konnte.

Er ging seufzend hinüber zu seinem Schreibtisch, schon darüber nachsinnend, was er James wohl zurück schreiben könnte.

Doch in dem Moment, als er den Brief zu den anderen in eine Schublade legen wollte, ging die Zimmertür fast unmerklich einen Spaltbreit auf und ein hässlicher kleiner Kopf mit spitzen Ohren lugte herein.

Sirius warf schwungvoll die geheime Schublade zu und fuhr den ungeliebten Hauselfen Kreacher an: »Wag dich ja nicht noch einmal, ohne anzuklopfen, mein Zimmer zu betreten, du kleines Scheusal!«

»Kreacher hat eine Nachricht von der Herrin«, quietschte das Wesen unter einer lächerlich vorgetäuschten Verbeugung. »Der junge Black soll sofort zu ihr in den Salon kommen.«

Sirius stöhnte genervt auf. Wenn er zu dieser Tageszeit noch zu seiner Mutter kommen sollte, dann verhieß das nichts Gutes…

Vor dem großen Schreibtisch in dem nahezu monströsen Raum kam sich Sirius sehr hilflos und verloren vor, besonders unter den schneidenden Blicken von Capella Black.

»Ich habe heute einen Brief erhalten«, begann seine Mutter bedrohlich ruhig.

Sirius war nur mäßig überrascht, schließlich erhielt seine Mutter laufend Briefe. Was das allerdings mit ihm zu tun hatte, konnte er noch nicht erahnen.

Doch schon fuhr Capella fort: »Dieser Brief war adressiert an meinen ältesten Sohn Sirius Black. Der Absender war ein gewisser Peter Pettigrew.«

Sie legte eine verheißungsvolle Pause ein, während der sie Sirius aus ihren kühlen, pechschwarzumrandeten Augen heraus bedrohlich anfunkelte.

»Ich denke, es wird dich interessieren, was darin steht.«

Die Frau griff in ein Schubfach und zog ein zusammengerolltes, aber schon geöffnetes Pergament hervor.

Sie räusperte sich und fing an, vorzulesen: »›Lieber Sirius, ich hoffe, es ergeht dir nicht ganz so schlecht bei deinen Eltern.«

Ein böser Blick zu ihrem Sohn, dann fuhr sie fort: »Tröste dich, wir haben ja nur noch zwei Wochen Ferien, dann kannst du endlich wieder nach Hogwarts. Übrigens, diese Eule, mit der ich dir das hier schicke, ist neu. Sie heißt Potamus. Ich habe sie von meinen Eltern als Ersatz für Charles bekommen. Sie ist etwas aufgedreht, ich hoffe, sie macht dir keinen Ärger…‹«

Ohne den Brief zu Ende vorzulesen, zerknüllte Capella ihn mit ihrer linken Hand, den bohrenden Blick noch immer fest auf Sirius geheftet. »– Dann schwafelt dieser kleine Gryffindor nur noch über seine Ferien und wie sehr er sich freuen würde, dich wieder zu sehen. Kleiner Heuchler, wer freut sich schon, dich wieder zu sehen!«

Capella warf Sirius einen letzten bösen Blick zu, woraufhin sie die zerknüllte Pergamentrolle in das Feuer warf, dessen Flammen sie gierig auffraßen.

»Nun!«, setzte die Hexe erneut an, als Sirius nichts entgegnete. »Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt, als ich sagte, dass du diesen Gryffindor-Verrätern nicht mehr schreiben sollst! – Und es hört sich ganz so an, als meintest du es tatsächlich ernst mit dieser lächerlichen Freundschaft!«

Obgleich Sirius wusste, dass es sicherer sein würde, die Behauptung seiner Mutter abzustreiten, ließ er vor Zorn glühend alle Vorsicht fahren.

»Ja, und? Dann sind sie halt meine Freunde. Da kannst du auch nichts gegen machen. Können ja nicht alle in dem perfekten Slytherin sein, oder!«

Ihm war bewusst, dass seine Mutter den Sarkasmus heraushörte, der in seiner Stimme deutlich mitschwang, und wusste noch bevor er den Satz vollendet hatte, dass er zu weit gegangen war.

»Junge, bist du noch bei Verstand!«, donnerte seine Mutter ungehalten los, die vor Wut aufgestanden war und ihn nun über ihren Schreibtisch hinweg anglänzte. Wie sie so dastand, all ihre Gesichtsmuskeln angespannt, hatte sie etwas Gebieterisches. »Dich mit diesem Gryffindor-Gesindel einzulassen. –« Ihr fielen offensichtlich nicht die richtigen Worte dafür ein, welchen Verrat das für das Hause Black bedeutete.

»Nur, weil ihnen die hochgeschätzte Reinblütigkeit egal ist«, schnaubte Sirius trotzig.

Er wusste, dass es zwecklos war, mit seiner Mutter darüber zu diskutieren – abgesehen davon, dass sie zu einer Diskussion gar nicht fähig war; ihre Meinung war richtig und unter keinen Umständen irgendwie anzuzweifeln!

Dennoch wollte Sirius sich nicht einfach geschlagen geben und deshalb fügte er zornig an: »Mit der Meinung sind meine Freunde dann schon mal um einiges schlauer als du!«

Im nächsten Moment musste er für diese Worte auch sogleich büßen. Capella hatte erzürnt ihren Zauberstab gezogen und bevor Sirius auch nur ein weiteres Wort sagen konnte, bellte sie: »Tetundo!«

Sirius, der auf den Fluch nicht vorbereitet gewesen war, riss es von den Füßen und er krachte gegen die Wand. Nach einer weiteren nahezu eleganten Bewegung ihres Zauberstabs, verspürte Sirius einen brennenden Schmerz im rechten Bein. Sein Kopf begann grausam zu pochen…

Ein weiterer Fluch traf Sirius in der Magengegend. Er glaubte, einen Moment nicht mehr richtig atmen zu können. Liebend gern hätte er sich der Dunkelheit hingegeben, die dabei war, Besitz von ihm zu ergreifen, die wohltuende Ohnmacht.

Erst als Sirius an der Mauer völlig erschöpft zu Boden glitt, senkte Capella ihren Zauberstab. Ein paar ihrer Haarsträhnen hatten sich aus ihrer sonst so perfekten Frisur gelöst, die sie nun in aller Ruhe richtete, als wäre nichts weiter geschehen.

Der Schmerz, noch immer präsent, ließ nach und Sirius nahm wahr, wie er keuchend am Boden lag. Ihm war kalt und heiß zugleich und erstmals fühlte er auch eine Platzwunde am Hinterkopf, von der Blut auf den Boden sickerte.

»Du wirst den Kontakt zu diesen Blutsverrätern ein für allemal abbrechen, ist das klar?«, forderte Capella, als sie mit dem Haare richten fertig war, wobei sieihren Zauberstab bedrohlich in der Hand drehte.

Sirius, der noch immer eine rasende Wut in sich spürte, fühlte zugleich, wie schwach er von den Flüchen war, die seine Mutter auf ihn gejagt hatte und so nickte er mit zusammengebissenen Zähnen.

Capella steckte ihren Zauberstab weg, als wäre die Sache damit geklärt.

»Kreacher!«, schrie sie dann.

Ihre Stimme klang schrill und verursachte bei Sirius nur ein noch schlimmeres Pochen an den Schläfen.

»KREACHER!«

Durch seine schwindenden Sinne nahm Sirius wahr, wie sich die Salontür öffnete und der Hauself hereinkam. Während er sich tief vor Capella verneigte, fuhr diese fort: »Schaffe mir diesen niederträchtigen Jungen aus den Augen!«

Sie wies würdevoll mit dem Arm zur Tür, ohne Sirius eines weiteren Blickes zu würdigen, wobei ihre teuren, in Gold gearbeiteten Armbänder laut gegeneinander klirrten. – Zu laut, wie Sirius empfand. Jedes Geräusch war zu viel!

»Ich will ihn nicht mehr sehen!«

»Jawohl, Herrin!«

Nach einer weiteren ehrerbietigen Verbeugung, packte Kreacher Sirius am Umhang und zog ihn unsanft hinter sich her aus dem Salon.

Zu schwach, um sich zu wehren, stolperte Sirius dem Elfen nach, scheinbar endlose Gänge entlang und Treppen hinauf, wobei ihm jeder Schritt unsägliche Schmerzen bereitete. Er musste alles geben, nicht einfach auf der Stelle stehen zu bleiben und sich dem Reich der Finsternis hinzugeben, das ihn zu verschlingen drohte. So schlimm war es seit Wochen nicht gewesen!

Nur ein Mal ganz kurz die Augen schließen… Kreacher führte ihn ja ohnehin… Blieben sie stehen? – Und wenn schon, ihm sollte es Recht sein!

»Gefällt es dir etwa, verhext zu werden!«

Eine spöttische Stimme erreichte ihn, die er trotz seiner schwachen Sinne sofort wieder erkannte. Schnell öffnete er die Augen. Vor ihm stand ein bleicher Junge mit schwarzen, kurzen Haaren und kantigen Gesichtszügen. Ein höhnisches Lächeln umspielte sein kindliches Gesicht.

»Halt dich aus meinen Angelegenheiten raus, Regulus!«, erwiderte Sirius kühl.

Kreacher hatte ihn mittlerweile losgelassen, sodass er sich gegen die Wand stützen musste, um nicht umzufallen, und erst jetzt erkannte Sirius, dass sie bereits vor seinem Zimmer angekommen waren. Regulus musste eben aus seinem eigenen Zimmer gekommen sein, das direkt neben dem von Sirius lag.

»Du kannst jetzt gehen, Kreacher«, erlaubte Regulus dem Hauselfen würdevoll, ohne Sirius' Kommentar zu beachten, woraufhin Kreacher schlurfend abzog.

Sirius atmete noch immer schwer, versuchte sich aber auf seinen zwei Jahre jüngeren Bruder zu konzentrieren, der schon fortfuhr: »An deiner Stelle würde ich es nicht noch ein Mal drauf anlegen!«

»Klar! Du machst ja auch immer alles, was Mum und Dad von dir wollen, anstatt selber das Denken anzufangen«, entgegnete Sirius. Sein Tonfall war nicht halb so aggressiv, wie er ihn gerne gehabt hätte.

»Sei vorsichtig!«, zischte der kleine Junge drohend. »Ich weiß genau, was du nachts machst!«

Sirius, der sich eben an die Wand gelehnt hatte, um sich nicht unnötig anzustrengen, blickte seinen kleinen Bruder erstmals in die Augen, die im Halbdunkeln des Flurs gefährlich hell auffunkelten.

»Was meinst du damit, du weißt…«

»Was glaubst du wohl, wie Mum austickt, wenn sie erfährt, dass dieser Pettigrew nicht der Einzige ist, dem du regelmäßig schreibst?«, fragte Regulus genüsslich, wobei er Sirius überlegen musterte.

»Woher willst du das wissen…«, setzte Sirius an, dessen Kehle plötzlich ganz trocken wurde, doch abermals unterbrach Regulus ihn: »Ich höre dich Nacht für Nacht. Und halte mich nicht für bescheuert, ich weiß genau, wem du schreibst. Es sind diese unwürdigen Gryffindors!«

Er betonte das letzte Wort fast ebenso verächtlich wie seine Eltern es stets taten. Man konnte öfter meinen, dass sie es waren, die redeten, wenn Regulus sprach, was schlicht daran lag, dass er ihnen immer nach dem Mund plapperte.

»Ich warne dich, Regulus, misch dich da nicht ein!«

Alles, was Sirius wollte, war in sein Zimmer zu gehen, sich in sein Bett zu legen und zu schlafen, damit der Schmerz, wenn er wieder aufwachte, gelindert sein würde, doch das hier musste zuerst geklärt werden. Wenn sein Bruder seinen Eltern tatsächlich erzählte, dass er nachts heimlich Briefe an seine Freunde schrieb, dann steckte er wirklich in Schwierigkeiten!

»Du kannst mir nichts tun«, erwiderte der bleiche Junge hitzig. »Ich weiß, dass du außerhalb von Hogwarts nicht zaubern darfst!«

»Du solltest aber auch wissen, dass ich mir aus Regeln nichts mache!« Jedes Wort kostete Sirius eine gewaltige Anstrengung, aber er versuchte dennoch, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen.

Das Grinsen wich jedoch nicht von Regulus' Gesicht. »Du würdest mich nicht verhexen. Wenn du das tust, fliegst du von der Schule und siehst diese Versager, die du deine Freunde nennst, nie wieder!«

Sirius stieß einen langen Atemzug aus, von dem er noch nicht einmal gewusst hatte, dass er ihn angehalten hatte, während er verzweifelt versuchte, einen Ausweg zu finden.

Regulus hatte ohne Zweifel Recht und Sirius wusste keinen Grund, warum sein kleiner Bruder darauf verzichten sollte, ihn bei ihren Eltern anzuschwärzen. Das Pochen in Sirius' Kopf wurde wieder lauter, je mehr er sein Gedächtnis anstrengte, um einen Ausweg zu finden. Er war einfach zu schwach zum Denken. Er war so ziemlich zu allem zu schwach…

»Also gut, was willst du?«, gab Sirius schließlich nach.

Es hatte einfach keinen Sinn in seinem jetzigen Zustand zu versuchen, sich gegen seinen Bruder durchzusetzen. Regulus wusste immer, wann er Forderungen zu stellen hatte und wann er Sirius am besten ausnutzen konnte.

»Wenn du die Ferien über meinen Hauself spielst, dann könnte ich vielleicht vergessen, was ich mitbekommen habe. Vorausgesetzt natürlich, du schreibst ihnen in Zukunft nicht mehr!«

Erst wollte Sirius einfach nur nicken, um dann endlich in seinem ruhigen Zimmer verschwinden zu können, doch irgendwo in seinem Hinterkopf erwachte wieder der Rebell. Er würde seinem jüngeren Bruder nicht einfach so klein beigeben.

»Mum und Dad haben mich nicht davon abhalten können, also kannst du es auch nicht, verstanden?«

Sirius wollte sich schon in sein Zimmer zurückziehen, da hielt der andere Junge ihn am Ärmel zurück.

Seine Augen waren zu Schlitzen verengt und er zog Sirius zu sich herunter, damit er ihm ins Ohr flüstern konnte: »Wenn du noch ein Mal an deine ›Freunde‹ schreibst, dann werde ich zu Mum und Dad gehen!« Diesmal lag nichts Drohendes mehr in seiner Stimme. Es war einfach nur eine Feststellung. Es klang vielmehr ein leises Bedauern nach, so als strebte er gar nicht danach, Sirius zu verpetzen, als wäre es für ihn ebenso unangenehm.

Und irgendwo spürte Sirius in dem Moment, dass der kleine hinterlistige Junge doch auch zugleich sein Bruder war.

Dieser Moment war jedoch schnell verflogen, denn Regulus ließ Sirius so plötzlich los, dass dieser einen Schritt nach hinten stolperte. Seine Knie fühlten sich noch immer ganz weich an und während er seinem kleinen Bruder nachsah, wie er den Gang entlang verschwand, spürte er, wie seine Beine unter ihm nachzugeben drohten und so schleppte er sich mit letzter Kraft in sein Zimmer, wo er sich auf seinem Bett endlich den finsteren Schatten überlassen konnte…


Jemand legte seine Hand auf Sirius' Schulter und holte ihn somit aus der Dunkelheit zurück, die sich wie ein Schleier um ihn gelegt hatte.

Als er aufsah, saß James neben ihm auf seinem Bett. Seine schwarzen Haare standen wie immer wirr in alle Richtungen ab, doch seine haselnussbraunen Augen strahlten eine innere Ruhe aus, die sich ein wenig auf Sirius übertrug. Aus diesen Augen, die Sirius nur zu gut kannte, schaute James ihn nun eine Spur niedergeschlagen an.

»Die kriegen sich schon wieder ein«, beruhigte er seinen besten Freund.

Sirius schüttelte den Kopf. »Wir wussten, dass es unmöglich ist, unsere Freundschaft zu halten.« Alle Hoffnung war für ihn verloren, so sehr lasteten noch die Flüche seiner Mutter auf ihm.

»Nein! – Wir wussten, dass es nicht leicht sein wird, unsere Freundschaft zu halten«, entgegnete James nachsichtig, wobei er mit seiner kühlen Hand über Sirius' Wange strich.

»Sie werden mich dazu zwingen… Du weißt nicht, wozu sie fähig sind!« Sirius vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Noch immer zitterte er leicht.

Die schwarzen Flüche seiner Mutter hatten etwas in ihm vorläufig gebrochen, auch wenn er noch viel zu durcheinander war, um sich dessen bewusst zu sein. Sie schienen einen Weg in seine junge Seele gefunden zu haben.

»Sirius…« Der Druck auf seiner Schulter, dort, wo James' Hand lag, ließ nach. »Du darfst nur den Glauben nicht verlieren! Den Glauben an unsere Freundschaft…«

Das Gewicht der Hand war gänzlich verschwunden und Sirius brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass sein bester Freund nicht mehr da war.


Es war noch dunkel, als Sirius von einem heiseren Krächzen geweckt wurde. Oxbow saß auf seiner Bettkante und sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. Sein schwarzes Gefieder vermischte sich mit dem Dunkel der Nacht. Lediglich die Augen des Tieres leuchteten in einem hellen Gelb.

Sirius wusste, was Oxbow ihm sagen wollte. Normalerweise schickte er den Raben noch vor dem Morgengrauen mit einem Brief an James los.

Als sich Sirius langsam aufsetzte, um ja kein Geräusch zu verursachen, spürte er die Schmerzen vom Vorabend deutlicher denn je.

Angespannt lauschte er in die Stille, damit ihm ja kein Geräusch aus dem Nebenzimmer entging, doch Regulus schien noch zu schlafen. Die Erinnerung an ihr Gespräch kam wieder hoch, obgleich er sich nur noch schemenhaft daran erinnern konnte.

Abermals horchte der Junge mit angehaltenem Atem in die Stille der Nacht. Als er kein Geräusch aus dem Nachbarzimmer vernahm, wagte er sich vorsichtig aufzustehen.

Der Brief lag noch genau so in seinem Geheimfach, wie er ihn Stunden zuvor hektisch darin verstaut hatte.

Im Schein der Kerze las Sirius ihn noch einmal durch, dann holte er ein Pergament aus einem anderen Schub, tauchte seine Feder in das Tintenfass und begann zu schreiben:


Hey James,

Mir geht's soweit ganz gut.


Hatte er das wirklich geschrieben? Sirius sah einen Moment lang mit gerunzelter Stirn auf diesen einen Satz, während er feststellen musste, dass es ihm sowohl psychisch, als auch physisch alles andere als gut ging. Er wusste nicht so genau, warum er das geschrieben hatte. Vielleicht, um James nicht unnötig aufzuregen…

Dennoch schrieb er weiter:


Na ja, Regulus nervt ein bisschen. Das Übliche eben. Nächste Woche Winkelgasse geht denk ich mal in Ordnung. Wir müssen diesmal ja nicht allzu viel besorgen, außer ein paar neuen Büchern. Ich freu mich schon riesig, euch endlich wieder zu sehen. Ist echt nett von deinen Eltern, dass sie mich zu euch einladen, aber ich muss leider absagen. Ich würde wirklich gerne kommen, aber wir sehen uns dann ja in ein paar Tagen.


War das ein Geräusch gewesen? Sirius hielt einen Augenblick lang völlig reglos inne. Hatte Regulus ihn etwa gehört? Oder war das nur ein Nachtvogel draußen gewesen?

Oxbow war zu ihm auf den Schreibtisch geflogen, verhielt sich aber vorbildlich ruhig, dafür, dass er ungeduldig auf seinen Auftrag wartete.

Nach ein paar Sekunden völliger Stille, tauchte Sirius seine Feder abermals ein und kritzelte schnell:


Ich höre jetzt besser auf. Am besten wär's, du meldest dich erst mal zwei bis drei Tage nicht. Könntest du vielleicht auch Remus und Peter sagen, dass sie mir lieber nicht mehr schreiben? Erklär ich dir später mal.

Ciao, Sirius


Der Junge starrte Oxbow noch nach, als dieser nichts weiter als ein kleiner Punkt am Nachthimmel war und erst als der Rabe mit dem Schwarz verschmolzen war, trat er vom Fenster zurück.

Er bereute es schon, James geschrieben zu haben, dass er sich ein paar Tage nicht melden sollte, aber es war zweifelsohne das Richtige gewesen. Schließlich waren ihm nicht nur seine Eltern, sondern auch Regulus auf die Schliche gekommen und wenngleich Sirius sich oft gegen seine Familie auflehnte, wusste er doch, wann er lieber Vorsicht walten lassen musste.

Noch ein Mal strich sich der Junge die dunklen Haare aus dem Gesicht, bevor er sich zu seinem Bett zurückbegab, um die letzten Stunden der Ruhe zu genießen, bevor ein neuer Tag voller Schikanen seiner Familie anbrechen würde…

tbc...


Anmerkung: So, hier geht es jetzt also in die zweite Runde. Wie hat es euch gefallen? Über Reviews freue ich mich wie immer sehr.

Für diejenigen (insofern vorhanden), die hier reinplatzen und das zweite Jahr lesen wollen, das erste aber nicht, die können sich die Zusammenfassung vom Wächter hier ansehen: (natürlich ohne Leerzeichen) www . fanfiction . net / s / 2220099 / 33 / (Ihr solltet aber auch durchsteigen, wenn ihr das 1. Jahr nicht gelesen habt, egal ob Zusammenfassung oder ganz)

Wie ihr vielleicht schon gemerkt habt, ist das Kapitel verhältnismäßig kurz, dazu lasst mich sagen: Die Kapitel werden wohl allgemein kürzer werden. Ach ja, und lasst mir wieder ein wenig Anlaufzeit, der Anfang ist immer am schwersten.